Die „Perle“ produziert weiter

Mitarbeiter übernehmen Galvanikbetrieb in Herzberg und retten fast 40 Arbeitsplätze. Viele Kunden und Kollegen halten zu ihnen. Der erste Monat ist besser gelaufen als gedacht.

Herzberg. Drei Mitarbeiter – Gerlinde Kirschner, Steffi Mannigel und Xoung Nguyen – haben zum Beginn dieses Jahres die Galvanik der ehemaligen Siedle Warmpressteile GmbH in Herzberg übernommen und somit fast 40 Arbeitsplätze gerettet. Ein hiesiger Unternehmer ist ihnen als Investor dabei zu Hilfe gekommen. Die Geschichte klingt wie ein modernes Wirtschaftsmärchen, und sie ist es auch – mit den Kapiteln Euphorie, Sachverstand, Erfahrung, Selbstvertrauen, Glück, Mut und reichlich Arbeit.

Steffi Mannigel, Xoung Nguyen, Timo Gleinig , Gerlinde Kirschner (v.l.n.r.) bilden die Führungscrew der OFB Oberflächenbearbeitung Kimax GmbH
Steffi Mannigel, Xoung Nguyen, Timo Gleinig , Gerlinde Kirschner (v.l.n.r.) bilden die Führungscrew der OFB Oberflächenbearbeitung Kimax GmbH. (Foto: Stephanie Kammer)

Die Galvanik war einst die Perle des ehemaligen Grohe-Armaturenwerkes. Als das Werk 2005 geschlossen wurde, glaubte kaum jemand daran, dass die Anlage jemals wieder Teile für die Sanitärindustrie mit schönstem Glanz beschichten würde. Doch es kam anders. Zwei Jahre später hat die Siedle Warmpressteile GmbH aus Vöhrenbach, die zur niederländischen Bons & Evers Holding B. V. gehört, die Anlage gekauft. Ehemalige Grohe-Mitarbeiter fanden hier wieder einen Job. Als Siedle im September 2016 dann aber verlauten ließ, die Galvanik nicht weiter betreiben zu wollen, saß der Schock bei der Belegschaft tief. Allen 45 Kollegen wurde zum 31. Dezember gekündigt, ein Sozialplan erstellt und den Mitarbeitern der Gang in eine Transfergesellschaft angeboten.

 

„Veränderungen hatten sich schon im Januar 2016 angekündigt“, so Gerlinde Kirschner, seit 2007 Buchhalterin bei Siedle. Im Herbst habe die Holding dann entschieden, die Galvanik zu verkaufen, sagt sie. Vier Monate waren knapp, einen Käufer zu finden. Zwar habe es Interessenten gegeben, aber auf die Schnelle habe es nicht funktioniert, so Kirschner.

 

Eine Möglichkeit gab es jedoch noch: Und so fanden sich mit Gerlinde Kirschner, Steffi Mannigel und Xoung Nguyen drei Mitarbeiter, die den Schritt wagen wollten, den Betrieb selbst zu übernehmen. Steffi Mannigel ist seit 2012 in der Produktionssteuerung und Auftragsannahme tätig, und Xoung Nguyen, Abteilungsleiter der Schleiferei, ist 2008 zu Siedle gekommen, hatte zuvor seit 1986 schon einige Jahre im Armaturenwerk gearbeitet. „Wir kennen das Unternehmen sehr gut. Wir wussten genau, was wir wollten und was aus unserer Sicht falsch gelaufen war. Wir sind mit sehr viel Enthusiasmus an das Vorhaben gegangen“, erzählt Steffi Mannigel.

 

Wille und Engagement allein reichten aber nicht. Noch immer brauchten die Drei einen Investor. Die Suche wurde zum Dauerlauf. Doch manchmal liegt das Gute nah. Mit dem Herzberger Unternehmer Timo Gleinig haben sie den Investor gefunden. Der kannte zwar weder Branche noch Geschäftsmodell, mit dem Armaturenwerk verband ihn aber eine besondere Beziehung. Hier hatte Gleinig 1988 im Rechenzentrum bei einem Praktikum seinen späteren Geschäftspartner Horst Liepe kennengelernt, mit dem er nach der Wende ein bis heute erfolgreiches Computer- und Softwareunternehmen aufgebaut hat.

 

„Ich habe sofort gespürt, wie die drei für die Galvanik gebrannt haben, und ich habe mich davon anstecken lassen“, so Timo Gleinig. Die Bank hat mitgemacht und trotz der hohen Summe (wie hoch, bleibt intern) ging es ganz schnell. Im Dezember wurde man sich einig. Gleinig kaufte die große Fertigungshalle von der Holding und die neu gegründete Firma Oberflächenbearbeitung Kimax GmbH die Galvanikanlage von Siedle. Mit Kirschner, Mannigel, Xoung und Gleinig hat die Kimax vier Gesellschafter. Gerlinde Kirschner ist zudem Geschäftsführerin.

 

Siedle und die Kimax sind im Guten auseinandergegangen. Die Firma Siedle – mittlerweile umfirmiert – „arbeitet sehr gern mit dem neuen Unternehmen zusammen“, teilte Geschäftsführer Karl-Heinz Fritsch auf Anfrage der RUNDSCHAU mit.

 

Am 2. Januar konnte die Kimax starten. Fast alle Mitarbeiter hatten sich für die Transfergesellschaft entschieden. „Die meisten haben sich gefreut, dass es weitergeht. Wir haben am 2. Januar begonnen, sie zurückzuholen“, so Steffi Mannigel. Nicht alle sind gekommen, aber viele. Es mussten auch neue Leute eingestellt werden. Heute hat die Galvanik schon wieder 37 Mitarbeiter.

 

Zur Stange gehalten haben auch die meisten Kunden. „Viele haben nachgefragt, ob wir weitermachen. Einige haben sogar höhere Preise und neue Teile angeboten“, erzählt Gerlinde Kirschner. Die könnte die Kimax auch verkraften, denn einige Produkte sind in den Wirren des Jahresendes weggebrochen. „Die Anlage ist im Zweischichtsystem noch nicht voll ausgelastet. Dabei könnten wir drei Schichten fahren. Wir sind nach ISO-Norm zertifiziert. Interessierte Kunden können uns Probeteile zum Beschichten schicken. Das bieten wir gerne an“, rührt Steffi Mannigel etwas die Werbetrommel.

 

Ihr und ihren Mitstreitern ist bewusst, dass sie vor allem im Vertrieb durchstarten müssen. „Die Ankündigung der Schließung der Galvanik hat hohe Wellen in der Branche geschlagen. Kunden waren verunsichert, ob sie einen adäquaten Anbieter finden würden. Das war uns gar nicht so bewusst, hat uns aber gezeigt, dass wir immer noch eine Perle sind. Es gibt nicht sehr viele hochwertige Galvaniken in Deutschland“, sagt Gerlinde Kirschner.

 

Der erste Monat unter der neuen Führung ist besser gelaufen als geplant. „Wir denken, dass es aus wirtschaftlicher Sicht funktionieren wird“, sagt Steffi Mannigel. Es sei aber auch viel Neues auf die Führungsriege eingeströmt. „Wir haben sicher auch Fehler gemacht. Aber jetzt können wir selbst darauf reagieren“, so Mannigel. Stolz ist die Crew vor allem auf ihre Mitarbeiter. „Wir spüren ihr Vertrauen. Wir sind keine Fremden für sie“, meint Gerlinde Kirschner.

 

Dass alle drei jetzt mindestens einen Zwölf-Stunden-Arbeitstag haben, wussten sie vorher. Zu Hause gibt es deswegen keinen Ärger. Ihre Familien stehen voll hinter ihnen, bekräftigen sie. So hat Gerlinde Kirschner den Schritt in die Verantwortung auch für ihren Sohn gewagt, der bei Siedle beschäftigt war.

 

Timo Gleinig ist beeindruckt, wie die Crew die Verantwortung für jeden Kollegen auf sich nimmt. „Sie sind mutige und wunderbare Partner und mittlerweile Freunde“, sagt er. Er selbst bleibt im Hintergrund und verlässt sich auf seine drei Mitgesellschafter. Nur große Sachen entscheidet er mit. Sein Bauchgefühl, sagt Gleinig, sei in Ordnung. Und Märchen gehen ja bekanntlich meist gut aus.

 

Zum Thema:

Die „Galvanik“ ist ein reiner Dienstleistungsbetrieb. Hier wird geschliffen, poliert und verchromt. Die Galvanik in Herzberg versieht Teile vorrangig für die Sanitär- und Heizungsindustrie mit hochwertigen Beschichtungen und beliefert große Armaturenhersteller, zum Beispiel Friedrich und Hans Grohe. Auch Kleinteile wie Schmuckelemente oder Rosetten gehören zum Angebot. Nach der Übernahme des ehemaligen Armaturenwerkes 1991 durch Grohe wurde 1992 eine neue Galvanik in Betrieb genommen. Mit dem Aus des Grohe-Werkes in Herzberg 2005 ist auch die Galvanikanlage stillgelegt worden, bis Siedle sie 2007 gekauft und komplett modernisiert hat. In Herzberg gab es das notwendige Fachpersonal.

 

Autor: Birgit Rodow

 

Lausitzer RUNDSCHAU, 16.02.2017, Seite 6